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Stichwort English Beschreibung
Gotik Gothic style/period Die Gotik war nach der Romanik die letzte Epoche des Mittelalters in Europa. Ab Mitte des 12. Jahrhunderts entstanden die ersten gotischen Kathedralen in Frankreich. Beginnend in Italien setzte sich im 15. Jahrhundert der Stil der Renaissance durch. Der Übergang der Epochen war fließend, denn im übrigen Europa hielt sich der gotische Stil bis in das 16. Jahrhundert. So sind die technischen und gesellschaftspolitischen Entwicklungen der Spätgotik als Wegbereiter zur Neuzeit anzusehen, mit dessen Auftakt das Mittelalter endete.

Einschneidende politische, religiöse und soziale Veränderungen begründen die neue Epoche. Das lang anhaltende Bröckeln der mächtigen Reiche Europas (zum Beispiel Stauferreich) zog ein Machtvakuum und eine große Unsicherheit nach sich. Dieser Umstand schuf Freiraum für einen regen geistigen und religiösen Austausch, der sich ebenso in der kühnen Bauweise widerspiegelte.
Die christliche Kirche galt als religiöse Autorität und förderte Wissenschaft und Lehre. Sie war die Begründerin der ersten Universitäten, die den vermögenden Bürgern offen standen. Ausgestattet mit neuem Selbstbewusstsein, Bildung und wirtschaftlichem Einfluss gründeten sie die bürgerlich-kaufmännische Hanse im Ostsee- und Nordseeraum mit weit reichenden Geschäftsbeziehungen und entsprechendem Auftreten. Davon zeugen noch heute die sorgsam gepflegten Gotikbauten (Backsteingotik in Lübeck, Stralsund).

Zu Beginn des Mittelalters entwickelte Europa eine kulturelle Eigenständigkeit - weitestgehend unabhängig von den antiken Geisteswissenschaften. Ganz im Gegensatz zum Mittelmeerraum, im maurischen Spanien und im christlichen Byzanz. Hier verfügte man über ein umfangreiches Wissen an technischen und geisteswissenschaftlichen Errungenschaften auf Grundlage antiker Erkenntnisse. Lang andauernde Kriege über die religiöse Oberherrschaft im Mittelmeergebiet brachten dieses Wissen ins christliche Europa. Der Spitzbogen beispielsweise ist islamischen Ursprungs und wurde ein typisch gotisches Gestaltungsmerkmal.

Aus der Gotik sind imposante Kathedralen erhalten, die Generationen nur als Baustellen kannten (Bauzeit Kölner Dom: 13. bis 19. Jahrhundert). Vorerst blieb man der Bauweise einer antiken Basilika treu, doch entwickelte sich ein neuer Typus: Die Hallenkirche, die dem gotischen Ideal von Weite und Größe entspricht.

Emporragende, reich verzierte, gemauerte Türme und Pfeiler prägen die gotischen Sakralbauten, deren stilbildende Eigenschaft die Vertikale ist. Möglich wurde dies durch den filigranen, in die Höhe strebenden Skelettbau, im Gegensatz zu den kompakten Gotteshäusern der Romanik. Im gotischen Kreuzrippengewölbe wurde die Last nicht vom massiv gemauerten Gewölbe, sondern durch diagonale Rippen innerhalb des Gewölbes aufgenommen. Der Kreuzungspunkt der Diagonalen in der Gewölbemitte wurde mit einem Schlussstein gehalten, die auftretenden Lasten an die Eckpfeiler des Gewölbes abgeleitet. Durch dieses Verfahren konnte auf die bis dahin übliche quadratische Grundrissform eines Gevierts verzichtet werden.

Die auftretenden Schubkräfte aus dem Dach werden von bis dahin unvorstellbar zartem Tragwerk aus Steinen - dem in den Außenraum verlegten Strebewerk - an die tragenden Pfeiler im Innenraum abgeleitet. Dekorative Gewichte (Fialen) tragen zur direkten Lastabtragung nach unten bei. Aus statischer Sicht weist dies der Wand eine untergeordnete Rolle zu. Zwischen den tragenden Pfeilern war die Wandgliederung beliebig möglich. Hohe, weite Bogengänge zwischen den Kirchenschiffen und schmale Fenster, nicht selten mit aufwändiger Glasmalerei versehen, trugen zu dem Empfinden eines lichten, weitläufigen und erhebenden Raumerlebnisses bei. Feine Steinmetzarbeiten, zum Beispiel in den oberen Abschlüssen von Wandöffnungen oder die sich mit Gewölberippen vereinenden Bündelstützen zeigen die große Kunstfertigkeit der damaligen Baumeister. Im Innen- und Außenbereich bestaunten die Gläubigen naturalistisch gestaltete Statuen, Konsolen, Fialen, Kapitelle, Schlusssteine, Rosetten.

Gotische Wohnhäuser sind kaum erhalten. Die Rat- und Stadthäuser, Burgen und Paläste zeigen ein emporstrebendes, Wand auflösendes Erscheinungsbild mit bis zu vier Geschossen, die sich durch statische Leichtigkeit und Dekorationsfreude auszeichnen. Gruppen von über- und nebeneinander gereihten Rund- oder Spitzbögen ermöglichten große Maueröffnungen in der farbigen Putz- und Backsteinfassade. In einer wenig vermögenden Stadt kamen nur vereinzelt üppig ornamentierte Fachwerk- oder Steinhäuser vor.

Im 19. Jahrhundert gewann die Neugotik bei öffentlichen Gebäuden und Kirchen noch einmal an Bedeutung. Ebenso lebte die Faszination für andere vergangene Stilrichtungen (Romanik, Renaissance, Barock) auf. Die Vermischung der vergangenen Stile wird Eklektizismus genannt.